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Schlussbetrachtung
Nach diesem Abriss ĂŒber mehr als ein Jahrhundert Stammbaumgeschichte soll in einer abschlieĂenden Betrachtung auf verschiedene Charakteristika von Abstammungsmo-dellen eingegangen werden.
Eine Abstammungstheorie ist immer mit dem verbunden, was fĂŒr die ArchĂ€ologie so wichtig ist: dem archĂ€ologischen Material.
Schriftliche Quellen reichen Jahrtausende, aber nicht Jahrhunderttausende oder gar Jahr-millionen zurĂŒck. Die Skelette unserer Vorfahren, so fragil sie auch sein mögen, sind das Fundament der archĂ€ologischen Recherche und Untersuchung.
Blickt man in die erste HĂ€lfte des 20. Jahrhunderts, so ging die Forschung bis in die spĂ€ten 50er Jahre nicht davon aus, dass die ersten wirklich menschlichen UrsprĂŒnge in Afrika liegen. Man war sich darĂŒber gewiss, dass bestimmte Affen- bzw. Menschaffentypen eine Rolle im MenschwerdungsprozeĂ spielten, jedoch bestanden falsche Ansicht hinsichtlich der menschlichen Wurzeln.
Der Erkenntnisgewinn aus heutiger Sicht war deshalb recht gering, weil das Fund-material sehr spĂ€rlich war. Die meisten Hominidenformen, die in gegenwĂ€rtigen StammbĂ€umen aufgefĂŒhrt werden, haben ihren Ursprung ab 1950.
Vergleicht man einen StammbÀume aus dem Jahr 2004 (z.B. Abbildung 17) mit anderen aus den 20er Jahren (z.B. Abbildung 5), so gibt es mehrere AuffÀlligkeiten.
Einerseits ist man besonders nach dem zweiten Weltkrieg immer mehr davon abgewichen, innerhalb der StammbĂ€ume zwischen unterschiedlichen Menschentypen (EuropĂ€er, Australier, Afrikaner (zumeist als Neger beschrieben), Chinesen) zu unterscheiden. Seit den 50er Jahren steht fast ausnahmslos der H. Sapiens am Ende der Kette und kein Homidenstamm mit unterschiedlichen âModernen Menschenrassen-Ă€stenâ.
Weiterhin konzentriert man sich speziell auf den MenschwerdungsprozeĂ und vermeidet es, innerhalb des Stammbaums parallel die Entwicklung der verschiedenen Menschenaffen darzustellen. Daran schlieĂt sich auch an, dass es zwei groĂe Gattungen gibt, nĂ€mlich Homo und Australopithecus (die nochmal zumeist in grazil und robust unterteilt wird), die den GroĂteil des Stammbaums ausmachen.
Insgesamt hat sich in einem Jahrhundert Stammbaumgeschichte viel hinsichtlich der NamensprĂ€gung und Aufmachung innerhalb der Modell getan. Es tauchen in den aktuellen Varianten nur noch teilweise diejenigen Arten oder Formen auf (z.B. Neandertaler, H. Heidelbergensis), die zu Beginn des 20. Jahrhunderts das Bild prĂ€gten. Ăberwiegend ist man dazu ĂŒbergangen die zeitliche Eingrenzung auf Zahlen zu beschrĂ€nken und Beschreibungen wie âOligozĂ€n, MiozĂ€n, Pliozön und PleistozĂ€nâ zu vermeiden.
Einem gegenwĂ€rtigen Leser ohne wissenschaftlichen Bezug genĂŒgt es wohl eine grobe Vorstellung ĂŒber die zeitliche Folge bestimmter menschlicher Vorfahren zu erfahren. Die Veröffentlichungen archĂ€ologischer Ergebnisse werden heute einem breiteren Publikum zugĂ€nglich gemacht, dass eine möglichst einfache Berichterstattung wĂŒnscht. StammbĂ€ume, die einer Leserschaft ohne groĂem Vorwissen prĂ€sentiert werden sollen, dĂŒrfen weder komplex noch unĂŒbersichtlich sein.
Die Veröffentlichungen seit 1900 bis zum zweiten Weltkrieg waren wahrscheinlich ĂŒberwiegend fĂŒr den wissenschaftlichen Betrieb geschrieben.
Wenn es sich vielleicht auch nicht direkt um einen elitĂ€ren Kreis handelte in der ersten HĂ€lfte des letzten Jahrhunderts, so waren diese StammbĂ€ume und die Theorien doch noch viel mehr fĂŒr die Fachwelt bestimmt als es heute geschieht.
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